„Verkaufe Glücksgefühl“

Sein Mund war voller Sandkörnchen. Diese bei dem Wind nicht einzuatmen, war ein Kunststück, das Joachim noch nie gelungen ist. Noch kein einziges Mal, obwohl er diese Sanddüne jedes Mal hochlief, wenn er in Dänemark seinen Urlaub verbrachte. Es faszinierte ihn, der Blick von oben auf den Skagerrak. Joachim starrte auf die Wellen, das zusammen mit dem Sonnenlicht ein atemraubendes Naturschauspiel bot. Nur ein flinkes kleines Mädchen unterbrach diese Naturszene. Fasziniert beobachtete Joachim durch das Fernglas, wie unten auf der Ebene der Steilküste, nördlich von dem Leuchtturm in der Ferienhaussiedlung, ein Mädchen geschäftig hin und her lief.

Es waren zwei Mädchen, erkannte Joachim beim zweiten Blick. Das etwa zehn Jahre alte und deren Freundin oder ältere Schwester, die Joachim auf 15 schätzte. Das ältere Mädchen legte eine Glasflasche in das flache Wasser in Strandnähe. Ein Faden war um die Flasche gebunden. Den drückte sie leicht in den Sand, sodass sich die Flasche im Wasser leicht bewegte, aber nicht davon schwimmen konnte. Dann rannten die Mädchen weg, in die Richtung, die weniger von Touristen bevölkert war. Dort hatten sie einen Tisch aufgestellt, mit Souveniers, wie es schien.

Er ließ das Fernglas wieder nach links schwenken, dorthin, wo die Mädchen die Flasche ins Wasser gelegt hatten. Die ersten Touristen liefen die Steilküste hinunter und bummelten am Strand entlang. Ein Ehepaar entdeckte die Flasche. Es war eine Flaschenpost, wie Joachim erkannte, denn die Frau öffnete die Flasche, fingerte den Zettel heraus, rollte ihn auf und las. Kurz darauf schaute sich das Ehepaar an und lief suchend, aber zielstrebig in die Richtung, in der die beiden Mädchen ihren Tisch aufgebaut hatten. Dort angekommen, redeten sie mit den Mädchen, die sich daraufhin um die Arme fielen und jubelten. Sie redeten, gestikulierten mit den Händen aufs Meer deutend, bevor die Urlauber etwas von dem Stand kauften und weiter liefen. Die Flaschenpost nahmen sie mit. Schließlich winkte das Ehepaar den Mädchen zu.

Kurz darauf kamen die beiden Mädchen wieder angerannt, eine neue Flaschenpost in der Hand. Das ältere Mädchen ließ die Flasche ins Wasser und drückte den Faden, der um die Flasche gebunden war, leicht in den Sand. Dann rannten sie zu ihrem Souvenierstand zurück. Wieder dauerte es nur wenige Minuten, bis weitere Urlauber die Flaschenpost fanden. Auch sie schienen aufgeregt zu sein, wollten unbedingt die Nachricht aus der Flasche holen, um die Mitteilung lesen zu können. Auch sie suchten den Stand der Mädchen, schienen erfreut, die beiden zu sehen, kauften etwas und setzten mit der Flaschenpost in der Hand, ihre Urlaubswanderung fort.

Joachim schmunzelte. Mit dem Fernglas um den Hals und einen Schal vor dem Mund gebunden, lief er die Düne wieder hinab, zur Strandebene. Ein weiterer Urlauber schien angebissen zu haben, wie er mit dem Blick durch das Fernglas erkannte. Er blieb stehen, wollte den Mädchen Gelegenheit geben, erneut eine Flasche in Strandnähe zu befestigen. Als das geschehen war, lief er weiter, bis er bei der Flaschenpost angelangt war. Joachim grinste, schraubte die Flasche auf, holte den Zettel heraus und las: „Lieber Finder meiner Nachricht, bitte machen Sie sich auf die Suche nach meinen beiden Töchtern. Die eine ist elf Jahre alt und heißt Anna, die andere ist fünfzehn und heißt Sofia. Beide haben weizenblonde kurze Haare und werden versuchen, unseren Souvenierstand weiter zu führen. Sagen Sie meinen Mädchen, dass es mir gut geht und ich bald wieder zurück bin. Beim letzten Sturm wurde ich ins Wasser getrieben, konnte aber von der Crew eines Schiffes gerettet werden. Herzlichst Sven Knude“

Joachim lachte über die Gewitztheit der Mädchen und lief zielstrebig auf die beiden zu. Sie strahlten, als sie ihn mit der Flaschenpost in der Hand sahen. „Guten Tag der Herr“, sagte Anna, die jüngere der beiden. An ihrem Gesichtsausdruck war zu erkennen, dass sie darauf warteten, von ihm auf die Flaschenpost angesprochen zu werden. Joachim ignorierte das und schaute sich die Souveniers an, die beide Mädchen zum Verkauf boten. Es waren die üblichen Dinge. Muscheln, ein paar Bernsteine lose oder zu einem Armband verarbeitet, ein paar Ansichtskarten. Nichts, was andere nicht auch boten. Die Mädchen wurden leicht ungeduldig, wie Joachim feststellte.

„Haben Sie wohl eine Flaschenpost gefunden“, fragte Sofia, auf die Flasche in Joachims Hand deutend. Joachim nickte grinsend, blieb jedoch stumm. „Was steht denn auf der Nachricht“, meinte nun Anna keck. „Auf dem Zettel steht: Hüten Sie sich vor meinen Töchtern, die hier im Minutentakt Flaschenpost verkaufen, die ich überhaupt nicht abgeschickt habe“, sagte Joachim. Die Mädchen schauten sich erschrocken an. „Sie verstehen das nicht. Solche Souveniers gibt es wie Sand am Meer. Davon können wir nicht leben“, meinte Sofia. Anna fügte an: „Die Leute wollen ein besonderes Erlebnis. Das ist in der Flaschenpost. Abenteuer und Romantik.“

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