Erdbeerkuchen

Matteo gab Schlagsahne auf sein Stück Erdbeerkuchen. Dann noch einen Löffel Schlag, noch einen und nochmal einen. Letztendlich war mehr Schlagsahne auf dem Kuchenstück als Erdbeeren. Brummelnd schob Matteo den Teller mit dem Kuchenstück beiseite. Er mochte keine Schlagsahne und genau genommen mochte er auch keine Erdbeeren. Warum hatte er sich in die Küche gestellt, den Tortenboden gebacken, die Erdbeeren gewaschen, den Kuchenboden damit belegt und dann noch Tortenguss verteilt? Damit er Schlagsahne drauf geben und den Kuchen wegwerfen konnte?

Matteo schüttelte den Kopf. Er hasste es, wenn man Lebensmittel verschwendete, vor allem, wenn es tierische waren. Außerdem konnte er es nicht leiden, wenn Menschen nicht wussten, was sie wollten. Zu Ende denken wollte er diese Gedanken nicht, sonst hätte er erkannt, dass er sich seit langem nicht mehr leiden konnte. Eigentlich seit sehr vielen Jahren. Er wusste nicht, was ihm gefiel, wusste nicht, was ihm schmeckte, er wusste nicht, welche Kleidung er sich kaufen und welchen Beruf er erlernen sollte. Es war nicht so, dass ihm nichts gefiel, doch es änderte sich von einer Stunde auf die nächste. Je nachdem, wie seine innere Stimmungslage war und je nachdem, mit wem er seine Zeit verbrachte.

Vor zwei Jahren hatte er sich ein neues Sofa gekauft. Es war anders als die üblichen Sofas, hatte einen gemusterten Bezug. Retro würde man das heute nennen und doch hatte es etwas. Es war ungewöhnlich, trotzdem schön und vor allem war das Sofa unglaublich bequem. Er hatte sich gefreut und als sein Freund eines Abends zu Besuch kam und sich über das Sofa lustig gemacht hatte, war Matteo ärgerlich auf sich geworden. Warum musste er sich ein derart ausgefallenes Sofa kaufen? Warum konnte er nicht wählen, was gerade modern war?

Jeden Abend wenn Matteo nach der Arbeit nach Hause kam und das Sofa sah, kippte seine Stimmung. Je länger er es ansah, desto mehr fand er an dem Sofa auszusetzen. Irgendwann schalt er sich, nicht immer seinen Launen nachzugeben. Nach weiteren zwei Wochen stellte er es in das Gästezimmer und kaufte sich ein günstiges modernes Sofa. Immerhin belustigte das Sofa niemanden, aber es gab auch keine positiven Kommentare darüber.

So war es mit allem. Ob er sich einen neuen Pulli kaufte oder ob er einen Film schaute oder Musik hörte. Gefiel das den Leuten, mit denen  der seine Zeit verbrachte oder denen er davon erzählte, war es ein gutes Gefühl. Sagte nur einer von den Bekannten „was ist das für eine Musik, warum gefällt dir dieser Schwachsinns Film oder in dem Pullover siehst du aus wie Prince Charles“, dann war Matteo geknickt, legte das Teil beiseite, nach weiteren Tagen versteckte er es so gut, dass er es nicht mehr fand.

Das ging mit allem so. Wenn er in der Arbeit von Privatem erzählte, kamen erst lustig gemeinte Kommentare, die Matteo jedoch negativ werte. „Na, deine Melitta ist doch nicht ganz dein Genuss“, meinte ein Kollege, in Anspielung an die Kaffeewerbung des Namens wegen. Je mehr solcher Kommentare Matteo hörte, desto mehr hatte er an Melitta auszusetzen. Sie kochte nicht gut, war nicht fleißig genug, sie sah nicht gut aus, ließ sich gehen, weil sie in bequemer Hose zu Hause gekleidet war. Irgendwann war er nur noch gereizt, wenn er an Melitta dachte und dann zogen beide den Schlussstrich unter diese Beziehung. Melitta zog aus und Matteo zog sich zurück.

Seither kam kaum mehr Besuch. Nein, es waren nicht die falschen Gegenstände, Klamotten oder Menschen, die er hatte. Es waren die falschen Freunde. Er war falsch, dachte Matteo und starrte auf den Erdbeerkuchen mit Schlagsahne. Er muss endlich zu sich stehen, dachte Matteo. Vielleicht sollte er nicht Dinge, die ihm gefielen beiseite stellen, vielleicht sollte er Menschen einladen, die ihn nahmen wie er war, die ihn ernst nahmen und sich nicht über seinen Geschmack lustig machten.

Vielleicht sollte er heute den Menschen einladen, der Erdbeerkuchen mit viel Schlagsahne liebte, dachte Matteo, fotografierte den Kuchen und schickte Melitta eine Einladung zum Kaffee.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert