Adventskrimi zum Mitraten in vier Teilen 3. Teil

Teil 3:

Anne grüßte freundlich, als sie ins Wohnzimmer ging. „Sie haben Erich Maier als einzige noch lebend gesehen.“ Es klang wie eine Feststellung. Anne schüttelte den Kopf. „Als ich heute zu ihm kam, saß er bereits leblos im Sessel. Erst dachte ich, er schläft, doch er atmete nicht mehr und seine Hände waren bereits kalt“, erklärte Anne. „Sie haben daraufhin gleich den Notarzt gerufen“, wollte Kommissar Prosa wissen. „Ich habe erst versucht, den Puls zu messen. Das mache ich ganz automatisch und es hätte ja sein können, dass er einfach nur tief schlief und es ihm kalt war. Doch ich fand keinen Puls, Erich reagierte nicht und da erst wählte ich den Notruf, während ich ins obere Stockwerk lief, um Johann zu wecken“, schilderte die Krankenschwester. „Er wäre doch aufgewacht, wenn er nur tief geschlafen hätte“, merkte Kommissar Prosa an. „Nicht unbedingt. Das käme drauf an, welche Medikamente er wann genommen hat“, meinte Anne. „Nimmt er die Medikamente selbst?“ Anne nickte. „Teils schon, teils müssen sie ihm gegeben werden. Er spritzt sich beispielsweise nicht selbst“, erklärte Anne. „Welche Medikamente bekommt er gespritzt“, hakte Prosa nach. „Das Insulin. Und im Prinzip könnten ihm auch andere gespritzt werden. Manchmal ist er ein schwieriger Patient gewesen. Er wollte dann seine Tabletten nicht nehmen und das war nicht gut, weil er dann zu unruhig wurde und die Demenz auch wieder stärker auftrat“, erklärte Anne. „Wer weiß das und wer konnte spritzen, falls es nötig gewesen wäre“, fragte Prosa. „Im Prinzip jeder, außer Joachim. Er kümmere sich um die Buchhaltung, mehr müsse er für den alten Herrn nicht tun. Die Pflege sollten Joachims Meinung nach, dann doch die Kinder übernehmen“, erklärte Anne. „Aber die Kinder interessierte es nicht“, meinte Prosa. „Nicht alle. Johann hat sich rührend um seinen Vater gekümmert. Das lag daran, dass er seine Vorlieben leben durfte, weil Joachim den Betrieb leitete. Anton war da weniger an seinem Vater interessiert. Er meinte immer, seinen Vater interessieren andere Menschen auch nicht, also solle sich Johann, Gesine oder ich um die Pflege von Erich kümmern. „Wie war denn das Verhältnis der Geschwister untereinander“, fragte Prosa. Anne musste nicht lange nachdenken. „Sie waren einer Meinung, wenn es darum ging, dass der alte Herr ihr Leben zerstört hat, weil niemand freie Berufswahl hatte. Auch bei den Partnern mischte er sich gerne ein. Nicht umsonst sind Anton und Johann noch ledig. Aber grundsätzlich sind sich die Geschwister argwöhnisch begegnet. Jeder hatte Angst, der andere bekäme mehr Geld oder Zugeständnisse. Anton zum Beispiel forderte mehr als ihm zustand, weil er den Beruf auch ausüben musste, den sein Vater für ihn vorgesehen hatte. Es kam da schon ein klein wenig Neid auf Johann auf, der durch Joachims Engagement eine ruhige Kugel schob und trotzdem bei dem alten Herrn gut angesehen war, einfach nur weil sie unter einem Dach lebten“, erzählte Anne. Sie überlegte. „Johann hatte eine Bankvollmacht, um die täglichen Einkäufe und andere Erledigungen durchzuführen. Er bediente sich dann natürlich auch, um eigene Anschaffungen zu bezahlen. Anton war eher distanziert. Grundsätzlich sagte er wenig und besuchte seinen Vater auch nur selten. Doch wenn er etwas getrunken hatte oder in depressiver Stimmung war wie bei dem Klassikkonzert am Wochenende, dann würde er seinem Vater am liebsten den Kopf waschen für all die Ungerechtigkeiten“, erzählte Anne. „Haben Sie gesehen, dass Anton gestern ins Haus kam und mit Johanns Auto ein paar Minuten fuhr“, fragte Prosa. Anne nickte. „Das kam immer wieder einmal vor. Wenn ich es gesehen hatte, ging ich kurz darauf ins Haus, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung war“, erklärte Anne. „Sie meinen, ob der alte Herr noch lebte“, fragte Prosa. „Ja. Man hört und liest so viel“, erklärte Anne. „Sind Sie gestern auch ins Haus, nachdem Anton Johanns Auto bewegt und seinem Vater einen Besuch abgestattet hatte?“ Anne nickte. „Natürlich. Aber es war alles in Ordnung. Erich saß in seinem Sessel und schaute Fernsehen. Ein Buch lag auf dem Tisch. Das liegt immer auf dem Tisch, denn er wollte nie wahrhaben, dass er nicht mehr lesen kann. Besser, dass er das Gelesene nicht mehr verarbeiten kann. Er tat einfach so, als wäre alles noch in bester Ordnung“, erzählte Anne. „Doch als Johann nach Hause kam, gab es Streit. Erich hatte wohl seinen Kindern oder zumindest Johann erzählt, dass er sein Testament geändert hatte und Joachim einen großen Teil des Vermögens erben soll. Immerhin hat Joachim die Firma zu Erichs Zufriedenheit geleitet und sogar weiterentwickelt. Er hat neue Sparten eröffnet. Die Firma warf noch nie soviel Gewinn ab wie derzeit“, erklärte Anne. „Wussten alle Kinder von dem geänderten Testament“, hakte Kommissar Prosa nach. Anne zuckte die Schulter. „Johann wusste es, denn als er nach Hause kam, gab es einen lautstarken Streit, den ich bis in mein Haus hören konnte“, sagte Anne. „Ob Anton und Gesine auch davon wussten, kann ich nicht sagen“, fügte Anne an. „Was ist mit Joachim. Wusste er davon“, fragte Prosa. „Auch das kann ich leider nicht sagen. Joachim redet wenig. Er ist zwar täglich hier, um Erich die Bücher zu zeigen und vom Tagesgeschehen zu berichten, doch ob sich die beiden über das Testament unterhielten, kann ich leider wirklich nicht sagen“, meinte Anne. „Welche Eindruck hat Joachim auf Sie“, fragte Prosa. „Er scheint mir der einzige zu sein, der wirklich Interesse an der Firma hat. Einen besseren Schwiegersohn hätte Erich nicht bekommen können. Eigentlich profitierte die ganze Familie von Joachim. Er ist auch der einzige, der jeden mit demselben Respekt behandelte, ob er zur Familie gehörte oder nicht“, meinte Anne. „Fast die ganze Familie profitierte. Anton musste ja weiterhin den Beruf ausüben, den er nicht wollte. Dass nun auch Joachim ein großes Stück vom Kuchen bekommen sollte, wird ihm missfallen haben“, meinte Prosa. „Das ist doch nur fair“, verteidigte Anne Erichs Entscheidung. „Sehen das Anton und Johann auch so? Wohl nicht, wenn es zwischen Johann und seinem Vater zu einem lautstarken Streit kam“, meinte Kommissar Prosa. „Wie ist das mit Gesine? Was halten sie von der einzigen Tochter des Millionärs“, fragte Prosa. Anne schaute verlegen auf die Seite. Dann hatte sie sich wieder gefasst. „Sie ist eine nette Frau, aber nicht mein Typ“, meinte Anne. Fragend hob der Kommissar die Augenbrauen. „Naja. Gesine ist schwer zu beschreiben. Sie ist nervös, ein bisschen verwöhnt, sie ist schnell zu begeistern und dann fehlt ihr wieder der Elan, etwas umzusetzen. Sie ist naiv, glaubt jedem alles. Sie ist einfach die Tochter aus einem reichen Haus und hat keinen eigenen Biss. Das klingt nun nicht sehr gut. Aber so ist Gesine einfach. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist ein netter Mensch. Gesine würde jedem helfen und so viel geben. Sie hat viele gute Ideen und keine davon kann sie umsetzen. Wenn sie ihren Vater sieht, ist sie wie ein kleines schüchternes Mädchen, das sich nichts mehr zutraut“, erzählte Anne. „Hat sie von ihrem Vater auch Geld gewollt“, fragte Prosa. „Immer wieder. Alle paar Monate hatte Gesine eine Idee für ein neues Projekt. Dafür benötigte sie immer Starthilfe. Aber ob das auch in den vergangenen Tagen der Fall war, weiß ich leider nicht. Ich habe Gesine schon länger nicht mehr hier gesehen“, sagte Anne. Der Kommissar schwieg. „Würden Sie bitte Gesine holen“, bat Prosa.

Foto: Rithika Gopalakrishnan on Unsplash

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