Adventskrimi zum Mitraten in vier Teilen

4. Teil

Teil 4:

Als könnte Gesine die Verlegenheit übertünchen, plauderte sie nervös vor sich hin, als sie sich Kommissar Prosa gegenüber setzte. „Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater beschreiben“, fragte Prosa. „Ich würde es neutral nennen. Ich war ihm keine große Hilfe im Geschäft, aber er hatte an mich auch keine großen Erwartungen, im Vergleich zu meinen Brüdern. Vielleicht ist auch mein Ehemann der Grund, dass Vater mit mir nachsichtiger war“, meinte Gesine. „Aber Sie ärgerten sich, dass er nicht an Ihre Projekte glaubte“, fragte Prosa. „Es enttäuschte und verletzte mich. Genau das wollte ich ihm heute eigentlich sagen, denn ich wollte Geld von ihm, um endlich meinen Traum eines eigenen Restaurants realisieren zu können“, gab Gesine zu. „Das besprechen Sie so ohne weiteres vor der gesamten Familie?“ Kommissar Prosa schaute ein wenig verwundert, doch Gesine winkte gleich ab. „Natürlich nicht. Ich wollte ein paar Minuten früher hier sein, doch Joachim wurde nicht fertig. Es sind nicht immer die Frauen, die zu lange vor dem Spiegel stehen“, fügte Gesine lachend an. „Dem Vater deshalb einen extra Besuch abstatten, wollten Sie nicht“, fragte Prosa. Gesine schüttelte den Kopf. „Konnte Ihr Vater das denn noch verstehen und entscheiden? Immerhin war er an Demenz erkrankt“, fragte Prosa. „Wer? Mein Vater? Das ist das erste, was ich höre“, meinte Gesine und schüttelte verwundert den Kopf. „Mein Vater war knausrig und er liebte es, wenn wir um sein Geld betteln mussten, aber er war alles andere als dement“, sagte Gesine. „Wo waren Sie gestern Abend und heute Vormittag“, fragte Prosa. „Ich war beide Male zu Hause. Gestern schlief ich bereits, wie ich schon erklärt hatte. Ich wusste, es würde heute ein anstrengender Tag werden und ich hatte auch noch fürchterliche Kopfschmerzen“, meinte Gesine. „Nehmen Sie Medikamente“, fragte Prosa. „Ja, ich nehme jeden zweiten Tag eine Schlaftablette, weil ich an nervösen Schlafstörungen leide und gestern nahm ich auch ein Schmerzmittel“, erklärte Gesine. „Weiß Ihr Mann davon“, fragte Prosa. „Natürlich. Er bringt mir die Mittel ja ans Bett“, sagte Gesine. „Was macht Ihr Mann, wenn Sie so zeitig schlafen gehen“, wollte Prosa wissen. „Mein Mann ist mit dem Geschäft verheiratet“, meinte Gesine. „Wenn er nicht die Buchhaltung erledigt, dann überlegt er, mit welchen Produkten oder Dienstleistungen das Geschäft erweitert werden könnte und so weiter“, sagte Gesine. „Wussten Sie, dass Ihr Vater das Testament geändert hat, um Ihren Mann ebenfalls zu beerben und es deshalb gestern einen großen Streit zwischen Ihrem Vater und Johann gab“, fragte Prosa. „Nein, das wusste ich nicht und allen Anschein wusste es auch kein anderer von uns Geschwistern, denn sonst hätte es Johann spätestens heute erzählt“, meinte Gesine. „Doch selbst wenn es so wäre, würde deshalb sicher kein Streit ausbrechen, denn Joachim ist gern gesehen in der Familie und erledigt viel Arbeit“, beteuerte Gesine. „Ist das wohl das Tatmotiv? Hat einer meiner Geschwister…“ Gesine konnte den Satz nicht beenden. Entsetzt hielt sich Gesine die Hand vor den Mund. „Würden Sie bitte Ihren Mann zu mir schicken“, bat Kommissar Prosa.

Mit großen Schritten betrat Joachim das Wohnzimmer. Er wirkte geschäftsmäßig. „Es ist für Sie sicher nicht leicht, mit Gesine verheiratet zu sein“, meinte Prosa. „Das verstehe ich nicht“, sagte Joachim verwundert. „Ihre Frau scheint psychisch bedingte Probleme zu haben“, meinte Prosa. Joachim lachte. „Weil sie nervös und erschöpft ist? Das wären Sie auch bei dem Vater“, meinte Joachim. „Das kann gut sein. Doch Ihre Frau braucht Medikamente, um zur Ruhe zu kommen. In der Zeit sind Sie allein“, meinte Prosa. „Das stört mich aber nicht. So kann ich abends in Ruhe aufarbeiten, was ich in der Firma noch nicht erledigt hatte. Es ist auch nicht jeden Tag, dass Gesine Medikamente braucht. Sie kennen meine Frau nicht. Sie ist ein liebenswürdiger Mensch, immer hilfsbereit und durchaus auch humorvoll. Man kann sich gut mit ihr unterhalten, über viele Themen. Wir führen eine gute Ehe. Dass sie diese Probleme hat und zwischendurch eine Tablette braucht, kann doch kein Grund sein, die Ehe schlecht zu reden“, verteidigte Joachim seine Frau. „Und zwischendurch schadet es auch mir nicht, früher schlafen zu gehen“, fügte Joachim an. „So wie gestern“, hakte Prosa nach. „Gestern habe ich erst die Buchhaltung erledigt. Aber so spät war es auch nicht geworden“, meinte Joachim. „Haben Sie gewusst, dass Ihr Schwiegervater sein Testament zu Ihren Gunsten verändert hat“, fragte Prosa. Joachim schaute den Kommissar an. „Das habe ich erst gestern Abend erfahren und war wirklich überrascht. Bin ich deshalb der Tatverdächtige“, fragte Joachim dann.

„Nein“, meinte Prosa. „Sie sind nicht der Tatverdächtige, sondern der Täter. Deshalb nehme ich Sie wegen vorsätzlichen Mordes an Ihren Schwiegervater fest. Den ersten und zugleich entscheidenden Hinweis hat mir Ihre Frau gleich bei Ihrem Erscheinen gegeben. Sie wusste als Einzige, dass bei den Medikamenten auf dem Tisch Schlaftabletten dabei waren. Denn Ihre Frau nahm dieselben Tabletten. Es waren auch die einzigen Medikamente am Tisch, die in Überdosis genommen, den Tod verursachen würden. Das hätten Sie als einziger nicht gewusst, denn Sie haben Ihrem Schwiegervater nie Tabletten und ihm auch nie die Insulinspritze gegeben. Und doch kannten Sie die Tabletten, weil Sie diese Ihrer Frau ans Bett holten, wenn Sie nicht schlafen konnte. Sie mussten handeln, bevor sich Ihr Schwiegervater heute an seinem Geburtstag von seinen Kindern überreden ließ, das Testament erneut zu ändern. Diese wussten bislang nichts davon, dass auch Sie als Erbe eingesetzt waren. Um zu verhindern, dass seine Kinder es erfahren und ihren Vater umstimmen, kamen Sie am Abend erneut hierher. Als Ihre Frau fest schlief. Denn Sie waren der einzige, der bereits gestern von dem geänderten Testament erfahren hat, als Sie bei Ihrem Schwiegervater waren, um mit ihm die Buchhaltung durchzusprechen. Der Mordplan reifte da in Ihnen und es kam Ihnen gerade gelegen, dass Ihre Frau früh zu Bett ging und ihre Tabletten nahm. Dass Ihr Schwager mit seinem Studienkollegen verabredet war, wussten Sie natürlich von Schwester Anne, mit der Sie sich sehr gut verstehen. Ich vermute, Sie haben ein Verhältnis. Als Anton in seinem Frust, ausgelöst durch das Klassikkonzert, mit seinem Vater reden wollte, hatten Sie Angst, Ihr Schwiegervater würde ihm von dem geänderten Testament erzählen. Doch Anton ging gleich wieder nach Hause. Sie waren darüber erleichtert, doch irgendwann würde Johann nach Hause kommen und so mussten sie die Zeit dazwischen zum Handeln nutzen. Wie gut, dass Schwester Anne immer nach Ihrem Schwiegervater schaute, wenn sein Sohn Anton möglicherweise die Beherrschung verlor. Motive hätten alle Geschwister. Doch einen Grund hatten nur Sie. Denn nur Sie konnten wieder enterbt werden. Das wäre zu riskant, denn mit dem Geld wollten Sie mit Anne ein neues Leben beginnen. Ohne Gesine. Das Leben mit ihr war Ihnen doch nicht angenehm genug. Es hätte alles gepasst, wenn Anne nicht erzählt hätte, dass es zu einem lautstarken Streit zwischen Johann und seinem Vater kam. Wegen des Testaments. Sie haben Anne von Ihrem Erbe erzählt? Natürlich. Denn Sie vermutete, Sie haben den alten Herren ins Jenseits befördert, weshalb sie für Sie log und diese Szenen erfand. Diesen Streit dachte sie sich aus, um den Verdacht auf ihn zu lenken. Er fand aber nie statt, denn Johann hätte davon erzählt, ist sich auch Ihre Frau sicher. Den zweiten, großen Fehler begann Anne, überhaupt von dem Testament zu erzählen. Denn das wussten bislang nur Sie, da der alte Herr Sie informiert hatte. Außerdem erzählte Anne, der Millionär wäre dement gewesen. Das konnte nicht sein, denn er hatte keinen Betreuer oder Bevollmächtigten. Er war geistig durchaus noch auf der Höhe. Diese Lügen, um den Verdacht auf andere zu lenken, sind Hinweis, dass Sie und Anne ein Verhältnis haben. Nur so profitiert auch Anne davon. Sie wussten, dass Ihr Schwiegervater nicht mehr lebte. Deshalb war Ihnen auch nicht wichtig, heute vor den anderen da zu sein. Leugnen hat keinen Zweck. Wir haben Beweise, Fingerabdrücke und mehr“, meinte Prosa. Joachim nickte, lehnte sich nach vorne, sah den Kommissar ins Gesicht. „Sie haben keine Vorstellung, welch ein Tyrann der alte Herr war. Selbst an meiner Arbeit hatte er täglich etwas zu kritisieren. Dabei habe ich viel gearbeitet, mehr als ich müsste. Ich habe für diese Firma gelebt. Kurz nachdem er mir von dem Testament erzählt hatte, drohte er, alles rückgängig zu machen und mich zu entlassen. Und er redete davon, dass Gesine alles wüsste und sich scheiden lassen würde. War das wieder eine Drohung? Er redete oft einen Unsinn, nur um andere zu verunsichern, zu verletzen. Meine Vorschläge, Dienstleistungen anzubieten, hatten ihm missfallen. Er bezeichnete mein Handeln als bewusstes Herbeiführen eines Bankrotts. Wir stritten. Er befahl mir, sein Essen und etwas zu trinken zu holen. Das Laufen ging nicht mehr gut. Als ich in der Küche sein Essen anrichtete, sah ich die Schlaftabletten und habe diese zerbröselt und untergemischt. Der Kommissar erhob sich. „Übrigens, der alte Herr hatte sein Testament nicht geändert. Sie waren niemals als Erbe eingesetzt“, beendete Prosa das Verhör.

Foto: Daniel Seßler auf unsplash

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