Eine Prüfung?

Drei Euro hatte Mara in der Hand umschlossen. Sollte sie den kleinen in Folie eingeschweißten Gugelhupf nehmen, der sehr schokoladig war und fluffig schmeckte? Oder sich eher eine teure Tafel Schokolade von dem Geld kaufen? Die Markenschokolade schmeckte zweifelsfrei besser, aber wenn sie ihren Heißhunger auf Süßigkeiten hatte, schmeckte sie ohnehin nichts. Dann war die Tafel in fünf Minuten gegessen. Mara musste sich langsam entscheiden. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass die Mittagspause bald vorbei war und ihr Religionsunterricht begann.

Aus Gleichberechtigung mit den Ethik-Schülern war auch der Religionsunterricht auf den Nachmittag verlegt worden. Gott prüfe den Menschen, ob er ein guter Mensch war oder nicht. Das war seit einigen Stunden das Thema. Ob wir ihn erkennen würden, wenn er heute an unserer Tür klopfe und um Herberge bitte? Mara tat das als Unsinn ab. Wieso sollte Gott als Mensch verkleidet plötzlich vor uns stehen, um zu prüfen, ob wir gute Menschen sind? Würden sie die Prüfungen überhaupt als solche erkennen? Welche Maßstäbe setzte er. Und würde er wirklich sagen, dass er Gott sei? Und selbst wenn – sie würde ihm genauso wenig glauben wie das die Menschen in Peter Ustinovs „Der alte Mann und Mr. Smith“ geglaubt hatten. Mara stellte sich vor, ein Mann in Anzug stünde plötzlich vor ihr und sagte, er sei Gott. Jetzt grinste Mara breit und freute sich auf den Religionsunterricht. Es würde wieder lustig werden.

Mara drückte ihre Hand fester, sodass das Geld klapperte. Entscheide dich endlich, mahnte sie sich, als ein älterer Herr mit seinem Einkaufswagen neben ihr stehen blieb.
„Entschuldigung. Könnten Sie mir bitte helfen?“, fragte der Mann höflich.

Mara nickte.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

Er hielt ihr einen Zettel hin.

„Das soll ich laut meiner Frau einkaufen. Aber mir ist das zu anstrengend. Können Sie mir die Sachen in den Einkaufswagen packen und an der Kasse bezahlen“, sagte der Mann und deutete mit seinem Stock auf sein Bein. Er hinkte stark, das Bein schien steif zu sein. Ein Unfall? Prothesen?

„Freilich. Das mache ich gerne“, sagte Mara, nahm den Zettel und lief quer durch den Supermarkt, bis sie alles gefunden hatte.

„Das steht nun nicht auf dem Zettel, aber eine Schachtel Pralinen brauche ich noch. Welche würden Sie nehmen?“

Mara überlegte. Natürlich würde sei eine Schachtel von den guten Markenpralinen kaufen, wenn sie genug Geld hätte. Aber beinahe zehn Euro oder mehr dafür ausgeben? Das würde sie nicht. Heimlich streifte ihr Blick den Mann. Und er konnte das auch nicht. Zumindest sah er nicht aus, als würde er im Geld schwimmen.

„Sagen Sie ruhig ehrlich, welche Pralinen Sie nehmen würden.“

Mara überlegte. Sie wollte eine diplomatische Antwort geben, beschloss dann aber einfach ehrlich zu bleiben.

„Also. Das ist keine einfache Frage. Es kommt darauf an, wofür und für wen die Pralinen sind. Einfach zum Naschen beim Fernsehen, dann passen diese hier ganz gut“, sagte Mara und deutete auf eine große Schachtel mit viel Inhalt für wenig Geld. Die Pralinen waren lecker, rochen nach Jahrmarkt, sobald man sie öffnete, aber nach drei Pralinen schmeckten alle gleich.

Der ältere Mann nickte.

„Wenn es ein Geschenk für Ihre Frau ist, dann würde ich die besseren nehmen“, sagte Mara und zog von jeder Marke eine Schachtel aus dem Regal.

„Und welche von denen ist die beste Wahl?“, fragte der Mann.

Mara hatte Mitleid. Er schien noch keine der Pralinen probiert zu haben, sie hatte also richtig vermutet, dass er kaum Geld hatte wie viele andere Rentner auch und sich eisern vom Mund besondere Pralinen absparte.

„Sie sind für einen guten Menschen“, meinte der Mann bescheiden.

Mara lächelte ihn an, verglich die Preise und entschied sich für die günstigeren der teuren Markenpralinen. Fast wurde sie ein bisschen neidisch auf seine Frau. Sie musste ein besonders guter Mensch sein. Oder hatten sie Hochzeitstag?

Der Mann nahm die Schachtel, legte sie behutsam in den Einkaufswagen, den Mara an die Kasse schob, die Waren aufs Band legte und dann bezahlte. Der Mann hatte ihr das Geld vorher zusteckt.

„Kann ich Ihnen noch beim Einräumen helfen“, fragte Mara.

Der Mann schüttelte den Kopf.

„Das schaffe ich schon. Danke.“

In den Supermarkt brauchte Mara nun nicht mehr gehen. Die Pause war so gut wie vorbei. Dann hatte sie eben keinen Kuchen, aber ihre drei Euro gespart. Wenn sie zügig lief, schaffte sie es rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn in der Schule zu sein.

„Einen Moment bitte, junges Fräulein“, rief der Mann und kam umständlich auf den Stock gestützt Mara entgegen. In der Hand hatte sie die Pralinen.

„Danke, dass Sie mir geholfen haben. Sie sind ein guter Mensch“, meinte der Mann.

Bevor Mara etwas sagen konnte, war er weg. Sie sah nur noch die Rücklichter seines Autos.   

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