Es ist nur eine Blockade, dachte Wolfgang und zerknüllte genervt die Seite Papier, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Der Papierkorb quoll bereits über. Von „nur einer“ Blockade konnte keine Rede mehr sein. Seit Jahren fiel ihm nichts Originelles mehr ein. Die wenigen Ideen lockten bei den Zuschauern nicht einmal mehr ein Anstandslachen hervor. Peinliche Stille entstand, erinnerte sich Wolfgang an seine Auftritte der vergangenen Jahre. Aufhören wollte er schon lange zuvor, um nicht mehr von seiner Familie getrennt zu sein und weil er es satt hatte, Witze zu reißen. Er hatte sich verändert. Das kannst du nicht tun. Du bist auf dem Höhepunkt deiner Karriere. Die Leute wollen dich sehen, hören. Du gibst ihnen ein Stück Lebensgefühl, du rüttelst die Menschen auf, erinnerte sich Wolfgang an die eindringlichen Worte seines Agenten und ließ sich überreden. Die Arbeit wurde ihm zur Last und der Druck, an jeden Erfolg den nächsten anzuknüpfen wurde immer stärker. Es zog ihn nach unten. Wenigstens eine Pause wollte er einlegen. Geändert hatte es nichts. Er war weg von der Bühne, war als Komiker nicht mehr gefragt. Und seine Frau und Kinder suchten das Weite, wenn er das Haus betrat. „Da ist er“, hörte Wolfgang seine Tochter rufen. Ohne aus dem Fenster zu schauen, wusste Wolfgang, wem die uneingeschränkte Aufmerksamkeit seiner Frau und Kinder galt. Ein schriller Pfiff drang durch die Luft. Es klang wie ein Ruf aus dem Amazonas. Genauso schillernd und geheimnisvoll. Der Star war wieder zurück, bedeutete das. Ja, der schillernde Vogel konnte sich in Szene setzen, dachte Wolfgang ein bisschen neiderfüllt, da seine Familie ganz begeistert nach dem Vogel suchte. Kein Wunder, dass ihm nichts mehr einfiel. Wolfgang stand auf, ging um den Schreibtisch herum zum Fenster und donnerte es zu. Bei dem Lärm konnte niemand konzentriert arbeiten. Wenn der Star kommt, ist der Frühling nah, erklärte seine Frau Marlene immer. Er war auch einmal ein Star. Jahrelang füllte er die Säle. Reden konnte er, feuerte eine Pointe nach der nächsten. Eine Mischung aus Comedy und Kabarett. Die Leute lachten und tobten. Noch bevor das Programm begann, hielten sie nach ihm Ausschau. Nach ihm, dem Star. Das Publikum war genauso aus dem Häuschen wie seine Familie, wenn sie den blöden Vogel im Garten pfeifen hörte. Deshalb ein solches Freudentheater zu veranstalten, war einfach nur peinlich, dachte Wolfgang. Er war peinlich, sagte seine innere Stimme. Er war kein Star mehr, hallte es in Wolfgangs Kopf, den er dann heftig schüttelte, als würde damit alles Vergangene ausgelöscht. Auch die Wut über seine Unfähigkeit, seine Interessen durchzusetzen. Wolfang saß über einer neuen leeren Seite, den Stift schreibbereit in der Hand. Doch ihm fiel wieder nichts ein. „Kein Wunder“, rief Wolfgang laut, als der Star einen weiteren Pfiff zum Besten gab. Wie ein Kuckuck klang er nun. Der beste Stimmenimitator soll der Star sein, soviel wusste Wolfgang. Er war auch der Beste. Der beste Komödiant. Bis er diese Blockade hatte. Wolfgang schlug sich mit der Hand auf die Stirn, in der Hoffnung, ein paar grandiose Ideen loszutreten. Für ein Comeback. Wolfgang erschrak. Das wollte er nicht denken. Er brauchte kein Comeback. Er war immer noch der Star, redete er sich ein. Es stimmte nicht, folgte die nüchterne Wahrheit, vor der er sich nicht mehr verschließen konnte. Wolfgang seufzte. Er hätte aufhören sollen. Der Star trällerte nun ununterbrochen. „Jetzt reicht es“, sagte Wolfgang, stand auf und rannte in den Garten. Diesen unleidigen Vogel, der sich einbildete, der Star der Gefiederten zu sein, nur weil alle Leute in Freudenjubel ausbrachen, wenn er ein paar Pfiffe ausstieß und andere Vögel imitierte, würde er aus seinem Garten verjagen. Kaum betrat Wolfgang den Garten, wurde es still. Seine beiden Kinder schauten sich an und schlenderten dann Richtung Gartenlaube. Wolfgangs Frau murmelte ein „ich muss jetzt kochen“ und lief ins Haus. Allein stand Wolfgang auf der Terrasse. Sofort fiel ihm der Star auf, der beobachtend auf dem Ast des Apfelbaums saß und kurz darauf davonflog. Selbst der Star suchte das Weite, sobald er in den Garten kam, bemerkte Wolfgang ironisch und verfolgte den schillernden Vogel mit den Augen. Er saß nun auf dem Zwetschgenbaum und trällerte ein Lied für seine Angebetete, die bereits eine Nistmöglichkeit suchte. Eindringlich beobachtet Wolfgang den Vogel, wollte herausfinden, warum er ohne großen Programmwechsel immer der Liebling der Menschen war. Er war nur er selbst, dachte Wolfgang nach wenigen Minuten erleichtert. Er selbst. Das wollte Wolfgang endlich sein. Er brauchte keine Ideen mehr für die Bühne. Eine Last fiel von seinen Schultern. Er wollte kein Star mehr sein. Schon lange nicht mehr. „Lasst uns einen Nistkasten aufhängen“, ermuntere Wolfang seine Kinder. Diese Geschichte hier: https://frankengedanken.de/?p=393weitere oder zum Stöbern: www.frankengedanken.dePhoto by Julian on Unsplash