
Es war einer dieser langweiligen Sonntagnachmittage im Herbst. Schon beim Blick aus dem Fenster auf die verregnete Landschaft, die das herabfallende Laub nur trüb und trostlos wirken ließ, genügte Eleonore, damit ihre Stimmung ganz im Keller ankam. Ein Wetter zum „Nichts tun“ und genau das war ihr Problem. Das zweite Problem. Das erste war, dass sie auch nichts tun konnte, lag sie doch mit einer schweren Erkältung im Bett, was zusätzlich zu ihrer gereizten Stimmung beitrug. Sie blätterte ein paar Zeitschriften durch, zappte sich durch die Programme und blieb bei einem der christlichen Sender hängen. Von Gott seine Wünsche vortragen bis hin zu Sorgen auf ihn werfen, war da die Rede. So ein Unsinn, dachte Eleonore. Wie konnten diese Sendungsmacher derart verantwortungslos sein und falsche Hoffnungen schüren? Da gibt es schwerkranke Menschen, die sicher nicht nur einmal gebetet haben, wieder gesund sein zu dürfen. Wie vielen Kindern geht es ebenso? Was ist mit den Leuten, die obdachlos werden, die ihre Heimat verlassen müssen oder mit den Menschen, die ihre Arbeit verloren haben und nicht wissen, wie sie sich für den Rest der Woche von Monat zu Monat über Wasser halten sollen? Je länger Eleonore darüber nachdachte, desto ärgerlicher wurde sie. Wohin überhaupt mit all den Wünschen? Auf ein Blatt Papier und dann ab in den Ofen? Eleonore beschloss die Wünsche mündlich zu übermitteln. „Du da oben, der angeblich alle Wünsche erfüllen kann. Ich möchte wieder gesund sein. Außerdem möchte ich…“ Eleonore hielt kurz inne und überlegte, was sie eigentlich alles wollte. Auf Anhieb fielen ihr überhaupt nicht so viele Wünsche ein. Keine wirklichen Wünsche. Wünsche wie nach einem Urlaub oder einer neuen Wohnzimmercouch nahm sie aus. Eleonore grübelte weiter. „Nochmal. Hallo, du da oben. Herr, wie sie dich nennen. Ich habe gerade auf einem Fernsehsender, der mich dir näher bringen soll, von einem Wunschkonzert gehört. Ich möchte daran teilnehmen und vermittele dir nun meine Wünsche. Ich wünsche mir, gesund zu werden. Ich wünsche mir, in meiner Arbeit mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen und ich wünsche mir, dass auf Erden weniger Leid, weniger Sorgen und weniger schlechte Nachrichten sind, sondern viele positive Dinge und gerne auch zehntausend und mehr Euro auf dem Bankkonto. Das war es fürs erste“, sagte Eleonore und lehnte sich grinsend zurück ins Kissen. Keiner ihrer Wünsche würde sich erfüllen, dachte sie mit geschlossenen Augen. Kurz darauf breitete sich ein schlechtes Gewissen in ihr aus. Ein bisschen provozierend hatte sie schon gesprochen. Immerhin war er ihr Schöpfer, wie es so hieß. Nicht provozierend, eher ins Lächerliche gezogen, hatte sie alles. Wie konnten ihre Wünsche respektiert werden, wenn sie so respektlos redete? Das wäre ja so wie wenn ihr Neffe sagen würde „Tante Elli, zum Geburtstag kannst mir einen Lamborghini in die Garage stellen.“ Dem würde sie etwas erzählen. Von wegen respektvoll reden, angemessene Wünsche und zuerst würde sie ihm sagen, dass es nicht ich will heißt. Ich würde mich freuen, ich möchte gerne… Aber so brauchte niemand mit ihr reden. Diese Vergleiche brachten Eleonore weiter zum Grübeln. Wenn ihre Nichte sagen würde, ihr Job oder ihr Leben sei langweilig, weil sie wenig Verantwortung habe, würde sie ihr sagen, dass sie einfach mehr Verantwortung übernehmen solle. Dazu brauchte sie keine Wunschliste. Einfach nachfragen und tun. Verantwortung konnte man immer übernehmen. Es war verantwortlich, wenn man Strom nicht einfach verschwendete, das Auto nicht einfach laufen ließ, nur damit die Klimaanlage lief. Was sollte sie da erfüllen? Sie würde ihr sagen, dass sie jederzeit Rücksicht nehmen könne, auf Schwächere, dass sie helfen könne… Dazu brauchte sie keinen Wunschzettel. Wenn ihr Kind sagen würde, überweise mit ein paar tausend Euro auf mein Bankkonto, würde sie antworten, man müsse auf seine Wünsche sparen, man müsse nicht alles haben, was man sieht oder Geld macht nicht glücklich. Überhaupt würde sie sich auf den Arm genommen fühlen, wenn ihr jemand eine Wunschliste unter die Nase halten würde, so wie sie es eben nach der Sendung gemacht hatte. Und wenn sie zu ihren Eltern sagen würde, sie möchte wieder gesund werden, würden diese sagen, sie solle an die frische Luft und etwas tun, um auf andere Gedanken zu kommen. Eleonore stand auf, zog sich an und lief in Richtung Wald spazieren. Waldbaden sollte gesundheitsfördernd sein, wurde nun überall erzählt. Sie genoss es, über den mit bunten Laub bedeckten Boden zu laufen, war fasziniert von dem saftigen Grün der dichtgewachsenen Moosschicht auf dem Boden und lief immer weiter in den Wald hinein, in Gedanken bei ihrer Wunschliste. Genauso würde sie den Menschen, die ihr nahe standen und die ihr wichtig waren, antworten. Als sich diese Erkenntnis bei ihr festsetzte, schämte sie sich für ihren Wunschzettel. Inzwischen stand sie mitten in einer Waldlichtung. Die Sonnenstrahlen setzen die landschaftliche Szene in einen besonderen Glanz. So intensiv hatte Eleonore die Natur noch nie beobachtet. Ganz spontan blickte sie nach oben. Es blieb ihr nur zu danken, für die wunderschöne Landschaft. Als Wunsch brachte sie nur noch an, dass er all den Menschen in ihren Sorgen und Nöten Hoffnung geben möge. Wünsche, die sie so provozierend an Gott richtete, waren keine Wünsche. Und doch hatte er sie erfüllt, alleine damit, dass sie wieder klar denken konnte, dachte Eleonore erstaunt.
