
Die Mittagshitze brannte herunter. Eher um davor zu flüchten, öffnete Anton das Tor. Es war als würde er eine andere Welt betreten. Das war ihm noch mehr bewusst geworden als in diesen Sekunden, in denen er den Hof betrat. Es war ein Innenhof, mit Brunnen, Bänken, mit Blumen bepflanzten Trögen, alten Rosen, die sich an den kalten Steinmauern emporrankten. Mehr noch faszinierte Anton die beruhigende Stille, die er hier antraf. Es war erleichternd. Als er da stand und die Szenerie auf sich wirken ließ, war es als fiele ein Stein von ihm. Das Gewicht hatte ihn bislang nach unten gedrückt, hatte ihn nur noch auf den Boden schauen lassen. Da waren keine Perspektiven mehr, keine Alternativen. Es gab nur noch den steinigen Weg, auf dem er lief. Selbst Weggabelungen, andere Richtungen, waren nicht in Sicht. Dazu hätte er den Blick heben müssen. Das konnte er jedoch nicht mehr. Zu schwer drückte die unsichtbare Last. Langsam lief Anton weiter, Er folgte dem Weg, der ihn direkt in eine Kirche führte. Es wäre der letzte Ort gewesen, den sich Anton freiwillig ausgesucht hätte. Aber es war angenehm kühl in dem hohen gotischen Steingebäude, weshalb Anton blieb. Die Kirche war leer. Anton setzte sich in eine Bank, um ausruhen zu können. Die Wanderung war in der Hitze noch anstrengender, wesentlich kräftezehrender jedoch war der anhaltende Streit mit seiner Freundin Pamela.
Sie nörgelte seit Beginn der Wanderung vor vier Stunden. Das war so nicht richtig. Eigentlich hatte sie mit dem Nörgeln nur während des Schlafes pausiert. Die Wanderung war nun der willkommende Grund, mit ihrer Lieblingsbeschäftigung fortzufahren. Erst meckerte sie über die holprige Route abseits der Fernstraße, dann erklärte sie eine halbe Stunde lang, warum er die falschen Wanderschuhe trug, schließlich war sie beleidigt, dass er eine andere Meinung dazu vertrat, dann blieb sie eine Viertelstunde lang stumm und schmollte, um gleich darauf alles ausgiebig zu analysieren, mit dem Ergebnis, er müsse zum Psychiater, damit es ihr gut gehe.
Anton schaute sich kopfschüttelnd in dem Kirchenraum um. Steinfiguren waren an den Seitenwänden befestigt. Irgendwelche Heiligen, dachte Anton. Alles richtig machen, anderen Menschen eine Chance geben, das war auch Antons Ansinnen. Doch scheinbar war alles in dieser Richtung falsch. Zumindest war es in der Vergangenheit so. Wenn er endlich der Bitte nachkam, einen Handstand zu machen, hätte er in dem Moment einen Purzelbaum schlagen sollen. Er sollte Gedankenlesen können und wenn er sich darin versuchte, wurde ihm genau das vorgeworfen. Er sollte rücksichtsvoll sein und wenn er das tat, sollte er auch mal seine Interessen durchsetzen. Er sollte sparsam leben, doch viel Geld für Pamelas Wohlbefinden ausgeben. Ein Restaurantbesuch, ein Kurzurlaub, einen Blumenstrauß…
Manchmal platzte ihm der Kragen und dann wollte er sich zurückziehen. Doch kaum zog er sich aus der Schusslinie, wurde er um Hilfe gerufen. Sie meinte es nicht so, sagte Pamela dann. So spielte sie die ganze Zeit mit ihm.
Warum ließ er sich das gefallen? Warum war die falsche Frage, sagte sein inneres Ich. Sie drückt den Blick nach unten. Anton, der seinen Kopf wieder gesenkt hatte, zwang sich, nach oben zu schauen, sich in der Kirche umzuschauen. Irgendwas war passiert. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich leichter, beschwingter, zuversichtlicher, als er die Kirche wieder verließ. So als würde es einen anderen Weg geben.
Er trat auf den Innenhof und öffnete das Tor. Tor war ein Teekesselwort, fiel es Anton ein. Ein anderes Wort für Narr. Wieder schaute er auf den Boden. Doch dieses Mal sah er die Gabelung. Links führte der Weg zurück zu Pamela, rechts in einen ihm unbekannte Richtung. Ohne zu zögern schlug Anton diesen Weg ein.
Foto und Text Copyright Petra Malbrich