
Ein kräftiges Rosa durchmischte das Himmelsblau. Melitta blieb stehen, um das Farbenspiel der Abenddämmerung zu bewundern. Das war zugleich das Stichwort. Dämmerung. Warum dämmerte ihr nicht, dass sie in einer kaputten Beziehung steckte und endlich die Reißleine ziehen musste? Egal, was sie machte, er wusste es besser. Egal, was sie machte, es war verkehrt. Wenn er sagte mach einen Handstand und sie setzte das um, dann wollte er einen Salto. Und dann immer dieses Gerede wie wenn sie ein zweijähriges Kind wäre.
Das begann schon beim Autofahren. „Wir haben noch einen Gang! Wollen wir nicht mal schalten?“ Solche Kommentare brachte Enno die gesamte Fahrt hindurch. Abwechslung kam, wenn er ihr sagte, wann und wie sie bremsen sollte. Kaum zu Hause ging es weiter. „Dreh du doch mal eine Runde mit Bella, ich habe noch Besprechung“. Das war auch so eine Ausrede fürs Faul sein. Denn seltsamerweise war die Besprechung immer schon beendet, wenn Melitta mit dem Hund wieder nach Hause kam und stattdessen der Fernseher lief oder Enno zockte am Handy.
Bat sie ihn um einen Gefallen, konnte sie in neunundneunzig von hundert Fällen davon ausgehen, dass er es vergessen hatte. Manchmal wollte sie ihn gar nicht mehr um einen Gefallen bitten. Er würde es doch vergessen, so konnte sie es gleich selbst erledigen. Manchmal schwieg er einfach. Keine Antwort ist auch eine Antwort, dachte Melitta und manchmal war er wirklich kreativ und probierte sich als Jacob oder Wilhelm Grimm.
Ein weiteres Beispiel war das Abendessen. „Möchtest du nicht auch mal den Tisch decken? Gestern und vorgestern habe ich den Tisch gedeckt.“
Melitta stand dann fassungslos da. Wies sie daraufhin, dass sie die Wäsche bügelte, die Fenster putzte, die Möbel abstaubte und den Boden wischte, hob Enno nur die Augenbrauen und blieb eine Minute stumm.
„Du willst mir sagen, dass ich zu wenig tue? Willst du das? Na gut. Aber ich habe es nicht nötig, mir von dir sagen zu lassen, dass ich faul bin. Ich werde nun nichts mehr tun, dann siehst du vielleicht, was ich alles mache.“
Das waren seine Antworten und er hielt das durch. Dann durfte sie sieben statt fünf Mal den Tisch decken, an sieben statt sechs Tagen das Essen kochen, sie durfte dann auch noch den Müll hinaustragen. Das spielte eigentlich auch keine Rolle mehr, dachte Melitta und beobachtete, wie sich das Rosa immer dunkler verfärbte.
Die Natur war schon erstaunlich. So viele Sonnenuntergänge, so viele Farbenspiele an manchen Tagen. Mal türmten sich schneeweiße Wolken auf wie Lawinen. An anderen Tagen formten sie sich, als würden sie Treppen zum Himmel bilden. Mal war der Himmel dunkelviolett, mal ein rotes Farbenspiel, das den Himmel komplett mit der Signalfarbe bedeckte, mal waren die Rottöne mit dem Himmelsblau vermischt, an anderen Abenden durchzog diese Farbe den Himmel wie in Bahnen.
Langsam löste sich das Schauspiel auf. Bella hatte dafür weder Zeit noch Sinn. Sie war eher von den Gerüchen am Boden fasziniert und wollte noch nicht nach Hause. Nur widerwillig trottete sie weiter, als Melitta an der Leine zog.
Kaum war sie wieder im Haus, rief Enno. „Bring doch dann etwas zum Trinken mit!“
„Ja“, flötete Melitta, lief aber ohne ein Getränk ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen.
„Wo ist das Trinken?“
„Oh, das habe ich vergessen.“
„Dann hol es!“
„Ich sitze jetzt bequem. Hol es dir selber“, antwortete Melitta.
„Überlege dir das gut. Ich werde dann nichts mehr erledigen, keinen Gefallen mehr. Na, dämmert es dir?“
Melitta lachte, ging in die Küche, deckte nur ihren Platz. So ein Lichtschauspiel konnte schon erleuchtend sein, dachte Melitta.
„Mir schon. Dämmert es dir?“, antwortete Melitta und setzte sich zum Abendbrotessen an ihren gedeckten Platz am Tisch.
Foto und Text Copyright Petra Malbrich