„Das Hashampo Experiment“

Nervös blätterte Dagmar in der Illustrierten. Der Inhalt interessierte sie nicht. Stattdessen blickte sie immer wieder auf die große runde Uhr, die neben dem Laborfenster hing. Dort waren fünf Ärzte oder Wissenschaftler damit beschäftigt, Flaschen auf den Edelstahltischen zu sortieren. Warum hatte sie sich von Angela zu diesem Experiment überreden lassen. Als harmlos hatte Angela die Studie bezeichnet und es sei eine gute Gelegenheit, schnell Geld zu verdienen.

Dagmar blätterte weiter. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete sie die anderen Studienteilnehmer. Ein jüngerer Mann lümmelte lässig in seinem Stuhl. Meist hatte er die Augen geschlossen. Ein Herr im mittleren Alter saß aufrecht und las konzentriert in einem der Magazine, die auf dem kleinen Glastisch in der Mitte des Wartezimmers lagen. Zwischen den beiden Männern saß eine Frau. Dagmar hätte sie auf Ende Dreißig geschätzt. Sie schien auch ein wenig nervös zu sein, dachte Dagmar erleichtert. Ein Gespräch fing niemand der Teilnehmer an. Nur wenige Minuten später ging die Tür auf und ein Arzt oder Wissenschaftler, der in dem typischen weißen Kittel steckte, bat den Herren mittleren Alters, ihm ins Labor zu folgen. Es dauerte ungefähr fünfzehn Minuten, dann kam der Herr wieder ins Wartezimmer. Seine Haare waren feucht und glitzerten leicht, stellte Dagmar fest. Alle im Wartezimmer drehten sich nun erwartungsvoll zu dem Mann, in der Hoffnung, mehr über die Versuchsreihe zu erfahren.

Der Herr schien Gedanken lesen zu können. „Darfelag sageleg nicht“, stammelte er und wiederholte das nochmal. Doch ein vernünftiger Satz kam nicht über seine Lippen. Die anderen Wartenden grinsten, schauten dann wieder in ihre Zeitschrift und lasen, bis der Professor die Tür wieder öffnete und die Frau aufrief. Was war dem Herrn passiert? Hatten sie ihm eine Substanz verabreicht, grübelte Dagmar. Hatte er Halluzinationen? Konnte er nicht mehr reden? War er betrunken? War Hashampo eine Abkürzung? Wofür stand sie? Warum hatte sie nicht gefragt, um welches Experiment es sich handelte. Je mehr Fragen Dagmar einfielen, desto unbehaglicher wurde ihr. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, rieb ihre feuchten Hände an ihrer Hose ab. Kurz darauf kam die Mittdreißigerin wieder ins Wartezimmer, setzte sich auf ihren Stuhl und schwieg. Inständig hoffte Dagmar, dass auch die Frau reden würde.

Doch die Frau, die vor dem Experiment immerhin freundlich lächelte, saß nun mit zusammengepresstem Mund stumm da und starrte vor sich hin. Dagmar schluckte. Noch konnte sie gehen. Niemand zwang sie zur Teilnahme am Experiment. Nur Angela hatte das erwartet. Sie würden so wertvolle Erkenntnisse über die Psyche der Menschen erhalten, hatte Angela erklärt. Da hätte es klingeln müssen, dachte Dagmar. Natürlich wurde die Psyche mit irgendwelchen Substanzen getestet. Sie hätte nicht zusagen dürfen, kritisierte sich Dagmar. Sie rutschte noch nervöser auf dem Stuhl hin und her. Die Dreißigerin schien nun zu schlafen. Wie leblos hing sie in dem Stuhl. Dagmar hingegen saß nun noch angespannter auf dem Stuhl, wie wenn sie gleich aufspringen und wegrennen wollte. Doch genau in dem Moment, als sie tatsächlich das Wartezimmer verlassen wollte, öffnete der Professor die Tür und bat Dagmar ins Labor. „Bitte setzen Sie sich“, meinte der Professor. Seine Studentin kam zu Dagmar, eine Sprühflasche in der Hand. Damit befeuchtete sie Dagmars Haar. „Bitte, lassen Sie das. Ich habe es mir anders überlegt“, stammelte Dagmar.

„Das geht nun leider nicht mehr. Sie haben sich gemeldet und nun müssen Sie an dem Versuch teilnehmen“, sagte der Professor. Die Studentin kam erneut zu Dagmar, um den Blutdruck zu messen. „210 im Ruhezustand, ist viel zu hoch“, meinte diese. Der Professor nickte. „Dann fangen wir an“, sagte der Professor und hielt eine Dose in der Hand. Den Inhalt der Dose verteilte er über Dagmars Haare und kämmte die Haare anschließend durch. Dagmar hätte am liebsten geweint. Schmerzen hatte sie keine. Doch drang die Substanz bereits in den Kopf ein? Dagmar hörte ihr Herz bis zum Hals klopfen. „So, das war es“, meinte der Professor und hielt Dagmar einen Spiegel vor das Gesicht. Sie begutachtete sich ganz genau. Eine Veränderung konnte sie nicht feststellen. „Was passiert nun“, fragte Dagmar, erleichtert, dass sie noch normal reden konnte.

„Nichts. Was soll passieren“, fragte der Professor. „Na, die anderen sind etwas mitgenommen“, meinte Dagmar und zeigte mit dem Finger auf die Tür zum Wartezimmer. „Keine Sorge. Die anderen, die so mitgenommen sind, sind Mitarbeiter von mir. Wir untersuchen, wie sich der Blutdruck und die Psyche verändern, wenn ein Mensch in Stress gerät. Die Ungewissheit, die Angst vor einem schlimmen Erlebnis, kann bei Menschen zu Panik führen, was sich beispielsweise am Blutdruck bemerkbar macht. „Die Leute haben aber komisch geredet“, meinte Dagmar. „Ja“, stimmte der Professor zu, „doch das war so mit uns abgesprochen.“ Dagmar begann es zu dämmern. „Sie haben absichtlich wirr gesprochen? Was haben Sie mir ins Haar gestreut“, fragte Dagmar nun. „Trockenshampo“, antwortete der Professor. „Deshalb ist es ja das Hashampo Experiment. Haarshampoo komisch geschrieben“, fügte er grinsend an.

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